Lenzi hockt neben mir und fährt uns ins Wallis zur PDG. Sehr angenehm, sich fahren zu lassen. Richtig glücklich bin ich gerade mit der PDG nicht: Anstatt sich von Lust, Laune und Verhältnissen treiben zu lassen, gibt es den Termin, der uns zu 360km Fahrerei zwingt. Lenzi hat während der Zeit keinen Auftrag und irgendwie kann ich mich gerade für die PDG auch nicht mehr motivieren. Mehr und mehr habe ich den Eindruck, dem Schweizer Militär ein großes PR Event zu finanzieren, in dem es sich selbst und seine Leistungsfähigkeit feiert. Auf der Strecke wird ein mobiles LTE Netz für die Notfall Kommunikation und das Live Tracking aufgebaut. Naja. Dazu gab es gerade jetzt in der Haute Maurienne etwa 40cm Neuschnee… Wahrscheinlich drückt einfach nur das schlechte Wetter auf’s Gemüt.
Ich fahre also mit gemischten Gefühlen nach Täsch. Lenzi muntert mich auf, es wird bestimmt auch eine tolle Erfahrung – und immerhin habe ich schon zwei vergebliche Anläufe gemacht (2016 Absage wegen Schlechtwetter, 2020 Absage wegen COVID-19), einmal soll es nun klappen.

Somme bis zum Schluss

Aber zu den Tagen davor.
Wir sind eben gern in der Dauphiné. Mittlerweile war ich sicher schon zehn mal dort, aber nur ein mal (2015 mit Rainer) mit Ski, und ich habe aufgehört die Besuche zu zählen. Deshalb fahren wir dorthin, genauer nach La Berarde. Obwohl es dort natürlich nicht mehr Schnee als im Rest des Alpenbogens hat. Am Alpennordrand liegt generell mehr Schnee, aber nach der PDG werden die Verhältnisse kaum besser sein.
Es sollten tolle Touren und eine „interessante“ Zeit in unserer Vater-Sohn Beziehung werden.

Es liegt wirklich nicht viel Schnee. Schattigseitig halten sich im Tal stellenweise noch die Reste des starken Schneefalls von Anfang April und verkürzen die Tragestrecken. Oben gibt es nordseitig anfangs noch etwas Pulver, ansonsten aber eine schön zu fahrende, firnende, glatte und gesetzte Schneedecke. Natürlich fehlt die Masse aus dem ganzen Winter. Wir planen die ein oder andere Tour die ich vom Besuch mit Rainer kenne – nach sieben Jahren darf man sie sicher nochmal gehen.

Les Rouies, 3589m

Den Gipfel der „Les Rouies“ sieht man immer wieder aus den verschiedensten Ecken der Dauphiné. Als einer der höheren Gipfel im westlichen Teil ist er leicht zu erkennen und mit der weiten Gletscherfläche dazu auch sehr markant. La Bérarde liegt eher mittig in der Dauphiné, das ergibt einen eher langen Talhatscher. Kein Wunder, dass es keinen Sommerweg von dieser Seite zu den Les Rouies gibt.

Wir tragen unsere Ski bis zum Plan du Carrelet und weiter geht’s auf vergleichsweise viel Schnee, aber auch nicht weniger lang in Richtung Les Rouies. Mit Steigeisen und zwischen zwei Blankeislinsen steigen wir von den Resten des Glacier du Chardon hinauf auf den Glacier du Rouies. Das war damals mit Rainer schon die Schlüsselstelle. Erst als wir unter der Rinne stehen ist klar, das es wir auch in diesem schneearmen Winter hinauf kommen.
Oben gehen wir über Firn, kurzzeitig etwas Pulver und ein kleines Plateau mit vom Wind bearbeiteten Schnee. Der Gipfel versteckt sich hartnäckig hinter Geländekanten und will sich erst lange nicht zeigen, und dann einfach nicht näher kommen. Lenzi kämpft mit der Höhe, ist unzufrieden mit sich selbst, die letzten 300Hm erscheinen ewig weit.

Wir brauchen zwei Anläufe bis wir beide auf dem Gipfel stehen. Lenzi kommt etwa 10 Minuten nach mir am Skidepot an, Ich warte nicht, sondern beginne schon mit dem Spuren der 50m hinauf zum Gipfel- wie erwartet: tief und anstrengend. Lenzi sollte in der Spur deutlich schneller voran kommen, es gibt ansonsten keine Schwierigkeiten.

 
Dauphine_1_017_v1_small Rechts gehts rauf Dauphine_1_005_v1_small Dauphine_1_004_v1_small

Er ist jedoch erschöpft, geht davon aus, dass ich auf ihn warte. Nach gut 15 Minuten allein am Gipfel fahre ich ab. Er will nicht mehr hinauf, ärgert sich über mich. Ich rechtfertige mich damit, dass er vermutlich eh fast auf mich aufgelaufen wäre. Mir ist dabei aber völlig klar, dass ich auf ihn hätte warten sollen. Mittlerweile sind wir schon so lange unterwegs – schlechter wird der Schnee unten jetzt nicht mehr. Ein paar Minuten hin oder her sind jetzt egal. Wir reden und Lenzi zieht die Steigeisen wieder an. Zusammen stapfen wir hinauf. Das Gipfelglück ist ein frostiges.

Die ersten Schwünge vom Gipfel gehen zäh. Etwas tiefer, mit mehr Sauerstoff in der Luft kommt die gute Stimmung zurück. Essential Turns only, Lenzi lässt es wie immer laufen und legt einen Front-Flip-Radschlag hin, es fallen Steigeisen und Sonnenbrillen Etui aus dem Rucksack. Wir fangen beides wieder ein, lachen. Bleibt noch die Rinne mit den kurzen Blankeisstellen. Lenzi testet, fährt voraus, das Eis ist mittlerweile griffig. Wir nehmen uns die Zeit, um mit der Drohne zu filmen.
Erst jetzt bremst der Schnee im Rest der Abfahrt ein wenig, und trotz des fortgeschrittenen Tages trägt der Schnee unten im flachen Bachbett noch perfekt. So rutschen wir bis auf wenige Meter zu unseren deponierten Laufschuhen.

Soll: Roche Faurio, Ist: Col du Sommet

Eigentlich sollte es gleich am nächsten Tag weiter gehen. Nach klingeln des Weckers, mit 5:00 Uhr eh nicht so früh, stehe ich auf, lege mich aber wieder hin. Es passt nicht. Ich bin total platt, nicht nur müde, sondern echt platt. Evtl. hängt Covid noch in den Knochen. Ruhetag, es hilft nichts.

Rainer und ich wollten damals schon über das Col d’Écrins zum Roche Faurio. Gegenüber der Bar de’Écrins hat man von dort einen tollen Blick auf den Schlussanstieg auf eben den südlichsten 4000er der Alpen. Mit der südost seitigen und wenig verspalteten Gipfelflanke kann man dort mit Firn rechnen und hat, mit Blick auf die Spalten einen entspannten Tag. Am Klettersteig unterm Col d’Écrins traute ich mich damals an einer Stelle nicht mehr weiter. Rauf wäre gegangen, ich war aber nicht sicher, ob es so, wie ich mich am Drahtseil halten konnte, auch wieder runter gegangen wäre. Da half das Seil, das unten im Auto lag auch nicht weiter – „again what learned“. Vom letzten Jahr, als ich zwei Mal über das Col ging, um vom Dôme de Neige mit dem Gleitschirm zu fliegen, weiß ich nun, dass an dieser Stelle jetzt zwei Eisentritte die Stelle entschärfen. Wir packen trotzdem zwei 30m Seile und den nötigen Rest ein.

Eindrucksvoll
Für sich alleine

Lenzi tut sich nach wie vor schwer mit der Höhe. Kurz nach Anziehen der Steigeisen ist klar, dass Lenzi hier nicht weitergeht. Es mögen fehlende Akklimatisierung, vielleicht auch Nachwirkungen von Covid sein, oder der schattige, steile und damit wenig einladende Aufstieg hinauf ins Col und dass wir seit knapp drei Stunden im Dunkeln/Schatten gehen, dazu eine gewisse Unzufriedenheit mit der Gesamtsituation oder fehlende Motivation. Die Stimmung ist so frostig, wie die Temperaturen. Ich bin genervt, weil ich in erster Linie die fehlende Motivation sehe, und kurz davor, alleine weiterzugehen. Lenzi will nach paar Minuten Bedenkzeit doch nicht ganz abfahren. Wir kamen zuvor an den Spuren zum Col du Sommet vorbei. Gut 400 Hm in der Sonne, Aussicht auf Firn. Da will er nun hinauf, das aber alleine, in seinem Tempo und auch wohl mit seinen Gedanken. Gut, das mache ich auch, im gleichen Stil: Alleine. Hin und wieder warte ich ein wenig, damit wir uns nicht aus den Augen verlieren.
Eigentlich keine schlechte Tour – das Col du Sommet. Dort sehe ich, dass die Umrundung der Grande Ruine nicht geht – schade. Es gibt aber eine Abseilschlinge… mal in die Nordseite schauen. Da zieht tatsächlich ein schönes Couloir hinunter; später sehe ich im Führer, dass es max 50° hat – werde ich mir merken.

Nachmittags ein Gespräch. Es geht tief und spricht vieles an – auch Dinge, die ich längst vergessen, oder so nicht wahrgenommen habe. Ich lerne und erfahre viel in wenigen Minuten, die vielleicht die wichtigsten des ganzen Trips sein werden.
Die Stimmung ist wieder gut. Am nächsten Tag wollen wir es nochmals versuchen.

Die Rechnung habe ich ohne meinen Arm gemacht: Seit langem kann ich wegen der Schmerzen diesen Abend lange nicht einschlafen. Den Rest der Nacht schlafe ich äußerst schlecht, und komme am Morgen nicht aus dem Bett. Keine Chance – so war es schon lange nicht mehr. Dem Lenzi ist es auch recht – wir drehen uns um und stehen erst um 9:00 Uhr auf. Den wunderbaren Tag nicht unterwegs zu sein, ist nervig. Vor allem, weil morgen das Wetter schlechter werden soll. Andererseits schlafe ich viel und versuche meinen Arm unter Kontrolle zu bringen. Dem kleinen Finger war es am Tag zuvor etwas zu kalt. Er ist geschwollen, hat eine dunkelrote, blaue Farbe und sieht nicht besonders gut aus. Ich spüre ihn nicht, aber das dürfte der Grund für das Malheur sein.

Das angesagte schlechte Wetter kommt nun doch erst einen Tag später, wir schauen, was morgen geht.

Roche Faurio, 2. Versuch

Der nächste Tag läuft perfekt. Gute Stimmung beim Frühstück. Entspannt steigen wir zum zweiten Mal den Sommerweg hinauf, lassen die Stelle an der wir vor zwei Tagen eine Bachquerung versuchten neben uns liegen. Schnell gehts weiter zum besten und tiefsten mit Ski erreichbaren Punkt. Und schon haben wir Zeit gegenüber vorgestern gewonnen.

Viele Spalten und Blankeis

Es gibt nicht viel weiteres zu erzählen; es läuft einfach. Steigeisen an, das Schneefeld hinüber zum Col queren, in alten Spuren hinauf, mit den Steigeisen am Klettersteig kratzen – alles „pas de probléme“. Am Col treffen wir seit Tagen die ersten Leute am Berg. Es sind Deutsche, die über den Glacier Blanc mit Schneeschuhen herauf kamen. Die Bar d’Écrins, bzw. der Dôme de Neige wurden schon lang nicht mehr gemacht: Zu wenig Schnee, zu viele offene oder kaum geschlossene Spalten, zu viel Blankeis. Eine alte Spur lässt sich gerade so erkennen.

 
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Noch gut 400Hm zum Skidepot und über einen exponierten aber leichten Grat weiter zum Gipfel. Skibergsteigen. Die Abfahrt ist wegen der vielen alten Spuren etwas ruppig. Für den Abstieg über den Klettersteig holen wir vorsichtshalber die Seile raus, steigen aber so ab. Unten noch einige steile Meter absteigen, bis wir wieder in der Sonne und im weichen Schnee sind. Weiter in bester Laune das Tal hinaus wie vor zwei Tagen. Gemeinsam und bei bester Laune erscheint es noch großartiger, beeindruckender und schöner.

Col de la Meije

Das schlechte Wetter kommt nun endgültig erst am Mittwochnachmittag. Da bleibt vormittags noch Zeit für das Col de la Meije. Mit etwa 2000Hm überschaubar: tragen, auf die Ski, hinter, hoch, runter, runter vom Ski, tragen. Keine langwierigen Aktionen.

Keine langwierige Aktion

Es schleicht sich Routine in der Früh ein und wir gehen bereits bei noch wenig Licht los. Flacher, dafür weiter tragen wir die Ski, können aber nach gut 50 Minuten umsteigen. Vor uns mehrere Gruppen, die vom Ref. Chatelleret aufbrachen und Richtung Col du Pavé gehen. Ein hohes Wolkenfeld macht endlich der Sonne Platz, wir schwenken nach links hinüber unter das Ref. Promontoire und sehen plötzlich etwa 30 Leute unterm Col de la Meije. Richtig schnell kommen sie nicht voran und bald erkennen wir, dass es französische Soldaten in der Ausbildung sind. Sie haben ein Geländerseil aufgebaut, an dem geht es lautstark und mit ein, zwei Pannen hinauf aufs Col.

Wir stapfen vorbei, sehen alte Abfahrtsspuren vom Col und nehmen die Ski auch mit hinauf. Bevor es oben zu eng wird, verabschieden wir uns und ab gehts.

 
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Irgendwann kommt das Wetter doch

Noch am Nachmittag zieht es zu, abends und in der Nacht tröpfelt es. Am nächsten Morgen wechseln wir auf die Ostseite des Col du Lautaret und landen mangels anderer offener Campingplätze auf unserem seit Jahren gern besuchten Camping du Lac in La Roche de Rame. Wäsche waschen, Bus putzen, das übliche Programm. Nach zwei Nächten beginnen wir die Fahrt nach Zermatt zur PdG, und wollen am Lautaret nochmal zur Akklimatisierung übernachten. Wie vorhergesagt schneit es oben – und das im Laufe des Abends immer mehr. Bevor wir anderntags die Ketten auflegen müssen, schlingern wir gerade noch vom Parkplatz und fahren ein paar hundert Meter weiter runter. Auch dort über Nacht etwas Schnee, problemlos dann aber nach Täsch/Zermatt zur PdG.

 

 
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La Grave

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